Expertenrunde fordert 180-Grad-Wende in der Wohnungspolitik.
Aengevelt Immobilien veranstaltete auf der Expo Real eine Expertenrunde zum Wohnungsmarkt. Diese war sich angesichts des sich weiter verschärfenden Wohnungsmangels und zurückgehender Bauleistungen einig, dass die Wohnungspolitik endlich grundsätzlich umsteuern muss. Wenn der Preis nicht wieder zum Regulator der Marktprozesse wird und regulatorische Neubauhemmnisse nicht beseitigt werden, wird es in Zukunft weder Neubau noch Bestandssanierung geben. Und das Mietpreisniveau wird allein schon unterversorgungsbedingt immer weiter steigen, allen Mietpreisbremsen und weiteren regulatorischen Maßnahmen zum Trotz.
Magdalena Kolak, Senior Analystin von Aengevelt Research, hatte die Diskussion mit nüchternen Fakten eingeleitet, die später von mehreren Podiumsteilnehmern als „dramatisch“ oder sogar „erschreckend“ bezeichnet wurden. So verfehlen die Baufertigstellungszahlen schon seit Jahren das von der Bundesregierung selbst gesetzte Ziel von jährlich 400.000 neuen Wohneinheiten deutlich. Aufgrund der bereits gesunkenen Zahl von Baugenehmigungen ist im Jahr 2024 ein massiver Rückgang auf nur noch 225.000 Fertigstellungen zu erwarten und für 2025 ist sogar eine noch schlechtere Versorgung vorprogrammiert. Die Lücke zwischen dem auf 600.000 Einheiten ermittelten jährlichen Neubaubedarf, der erforderlich ist, um eine weitere Verschärfung des über Jahre aufgebauten Wohnungsmangels zu verhindern, steigt im laufenden Jahr somit auf 375.000 Einheiten an. „Ist es überhaupt realistisch, jährlich 600.000 Wohneinheiten zu bauen?“ fragte Magdalena Kolak, um die Antwort mit dem nächsten Chart zu liefern. Zwischen 1995 und 1997 wurden drei Jahre hintereinander jeweils rd. 600.000 Wohneinheiten neu erstellt, womit die damals so genannte „Neue Wohnungsnot“ wirksam überwunden werden konnte.
Den aussagekräftigsten Frühindikator für die Bautätigkeit stellen die Auftragseingänge für den Wohnungsbau dar. Und diese sind nach Berechnungen von Aengevelt Research zwischen Januar 2022 und Januar 2024 um volle 36 % zurückgegangen – dementsprechend werden sich auch die Fertigstellungszahlen in den Jahren 2024/25 zwangsläufig noch weiter reduzieren. Der wachsende Wohnungsmangel zeigt sich auch im steigenden Preisniveau für Neubaumieten. So explodierten beispielsweise in München seit 2017 die Neubaumieten im Mittel um 22 % auf schwindelerregende EUR 21,81 pro m². In den anderen Big-Seven-Städten gab es ähnliche Steigerungsraten – ungeachtet sämtlicher regulatorischer Eingriffe.
Wie kann Bauen (wieder) bezahlbar werden?
Gunther Adler, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), selbst viele Jahre Staatssekretär im Bundesbauministerium, bestätigte, dass die chronisch zu niedrigen Fertigstellungszahlen „den Wohnungsmangel zur sozialen Frage“ machen. Nach Untersuchungen haben über 80% der jungen Leute Angst vor Wohnraummangel, was sich zunehmend auch in Wahlergebnissen niederschlägt.
Der Unternehmensberater Klaus-Peter Hesse (von Beust & Coll., Hamburg) sieht ebenfalls „sozialen Sprengstoff“ im Wohnungsmangel. Mit Blick auf Umwelt- und Klimaschutz, aber auch andere Anforderungen, bemängelte er, dass der Wohnungsbau immer noch keine Priorität genieße: „Das Anspruchsdenken in der Politik, aber auch in der Öffentlichkeit, passt nicht mehr zusammen mit den wirtschaftlichen Parametern, die wir derzeit zur Verfügung haben.“
Eines der größten deutschen Wohnungsunternehmen, die LEG Immobilien mit rund 167.000 Mietwohnungen, hat nach Aussage ihres ebenfalls im Podium mitwirkenden Vorstandsvorsitzenden Lars von Lackum nicht nur den Neubau schon seit zwei Jahren komplett eingestellt. Als Reaktion auf die Rahmenbedingungen, die sich stetig verschlechtern, hat das Unternehmen sogar seine Neubauabteilung aufgelöst. Von Lackum wörtlich: „Wenn man mit Neubau kein Geld verdient, hört man einfach auf zu bauen.“ Plastisch schilderte er, wie die LEG, die in 240 Kommunen aktiv ist, mit ihren Bauvorhaben regelmäßig am städtebaulichen Entwurf, an Stellplatzauflagen, am Baumschutz, an der Erschließung, am Bau einer Kita und an anderen kommunalen Auflagen gescheitert ist. Von Lackum: „Letztlich entsteht dadurch ein Produkt, das für die Mehrheit der Bevölkerung glattweg unbezahlbar ist.“ An die Politik richtete er eindringlich den Appell: „Man muss das eine oder andere Ziel priorisieren. Vielleicht geht es auch mit weniger Dämmung und weniger Komfort und dann wird es wieder bezahlbarer und bezahlbar.“ Und: „Wir müssen aufhören, Regulierungsweltmeister werden zu wollen, wir müssen endlich mehr Vertrauen haben in Marktwirtschaft, in preisliche Steuerung, und wir müssen dem privaten Kapital eine ausreichende Rendite bieten, sonst werden wir keines der Ziele erreichen, weder Neubau noch Bestandssanierung.“
Wichtiges Thema Regulierung.
Hinsichtlich des Themas „Regulierung“ kam die Sprache auch auf das geplante Gebäudetyp-E-Gesetz. Anders als viele Skeptiker zeigte sich Gunther Adler hier positiv: „Ich gehöre da eher zu den verhaltenen Optimisten. Ich glaube, da kann Gutes für das Bauen in Deutschland bei rauskommen, weil diese Erkenntnis sich breitgemacht hat: So wie es bisher war, in den letzten 20, 25 Jahren, kann es nicht weitergehen. Nicht alles, was technisch möglich ist, ist technisch sinnvoll. (…) Also mal wieder runterzoomen. Und das heißt nicht, hin zum Billigbau, und das heißt nicht, zu irgendwelchen Gebäuden, die morgen schon baufällige Ruinen sind oder bei denen die Sicherheit nicht gegeben ist, sondern wirklich von den Komfortmerkmalen runtergehen – das ist Gebäudetyp-E.“
Stefan Evers, MdA, Finanzsenator und Bürgermeister von Berlin, setzt in erster Linie auf Bürokratieabbau. Mit dem Berliner „Schneller-Bauen-Gesetz“ soll eine deutliche Kostensenkung und eine Verfahrensbeschleunigung erreicht werden. Das Gesetz ordne sich dabei ein unter der größeren Überschrift „Verwaltungsmodernisierung, Entschlackung, Endbürokratisierung“. Dazu sagte Evers: „Wir glauben daran, dass ein enormes Potential auch jenseits des Einsatzes öffentlicher Mittel in genau diesem Bereich liegt.“ Er machte aber auch darauf aufmerksam, dass es Zeit benötige, den notwendigen „Kulturwandel in der öffentlichen Verwaltung“ zu bewerkstelligen, selbst wenn der politische Willen vorhanden ist.
Einig waren sich die Experten, dass es an Verlässlichkeit hinsichtlich der Förderbedingungen, des Zinsniveaus und der Baukosten mangelt. Dazu Dr. Wulff Aengevelt, geschäftsführender Gesellschafter von Aengevelt Immobilien: „Der kurzatmige Förder-Zick-Zack zerstört das unersetzliche Vertrauen der Wohnungsbauinvestoren“. Die Immobilienwirtschaft müsse langfristig planen; wenn Förderprogramme, die in die Kalkulation eingeflossen sind, über Nacht gestoppt werden, müssten im langen Vorlauf professionell aufbereitete Projekte abgebrochen werden.
Fazit.
Dr. Wulff Aengevelt fasste zusammen: „Wir müssen nicht ein bisschen umsteuern, wir müssen eine 180-Grad-Wende inklusive der Außerkraftsetzung untauglicher Regulatorik hinbekommen. Das Zinsniveau befindet sich inzwischen im Sinkflug, aber die Bodenpreise sind noch ein Problem. Die öffentliche Hand müsste mit all ihren großen Latifundien gezielt in den Brennpunkten des Bedarfs, des krisenhaften Unterangebots, Boden zu investitionsermöglichenden Preisen bereitstellen. Wir brauchen in jeder Region dutzende baureife Wohnbaugrundstücke und Areale. Wir müssen konsequent kostentreibende Regulierungen zumindest angemessen temporär aussetzen. Wir haben richtige Klimaziele definiert, die wir gar nicht infrage stellen wollen, die haben wir aber entkoppelt vom Zeitstrahl und dieser ist zwangsläufig konjunkturabhängig. Wenn die Politik den Wohnungsbau ideologiefrei wieder entfesseln will, müssen wir die Auflagen in Abhängigkeit von Konjunktur, Zinsen und Baupreisen neu justieren – sonst werden wir die Wohnungsnot auch weiterhin nicht überwinden, sondern vielerorts sogar noch befeuern. Die wirksamste Maßnahme gegen den Mietpreisanstieg ist immer noch die konsequente Vergrößerung des markt- und bedarfskonformen Angebots, während mietpreisregulierende Maßnahmen paradoxerweise zu steigenden Mieten führen, weil sie Investoren abschrecken und damit weiter zu wenig gebaut wird.“
Thomas Glodek
Leiter Öffentlichkeitsarbeit
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